Leben und Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Österreich – erste Eindrücke unserer InterviewerInnen

Autorinnen: Judith Kieninger, Ruth Fulterer, Assma HajjiJudith Litschauer und Birgit Trukeschitz (Wirtschaftsuniversität Wien, Forschungsinstitut für Altersökonomie)

Über 400 Interviews mit Menschen, die mobile Betreuungs- und Pflegedienstleistungen in Österreich beziehen, waren im Rahmen des Forschungsprojekts „EXCELC – Lebensqualität durch Betreuung und Pflege“ 2016/2017 geplant. Über 600 wurden erfolgreich durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und wurde unterstützt von Pflege- und Betreuungsorganisationen sowie den Verwaltungseinheiten in den Bundesländern.

Über 60 geschulte InterviewerInnen waren im Auftrag des Forschungsinstituts für Altersökonomie unterwegs, um betreuungsbedürftige ältere Menschen in deren Haushalten zu befragen. Gut die Hälfte davon teilte ihre Erfahrungen und Eindrücke zum Leben und der Versorgungssituation dieser Menschen, die wir im Folgenden wiedergeben möchten. Wichtig ist es uns, an dieser Stelle festzuhalten, dass hier von den Eindrücken, Blitzlichtern und Assoziationen der InterviewerInnen berichtet wird. Die Ergebnisse der quantitativen Auswertungen der erhobenen Daten werden für September 2018 erwartet.

„Ein Stück Leben“

Die Interviews mit den pflegebedürftigen Menschen und die darüber hinaus geführten Gespräche gewährten den InterviewerInnen tiefgehendere Einblicke in die Versorgungssituation. „Die Damen sind sehr lebendig in ihren Erzählungen. Sie teilen mir ein Stück ihres Lebens mit“ berichtete uns eine Interviewerin zufrieden. So brachten die GesprächspartnerInnen auch ihre Wünsche, Ängste und Hoffnung im Kontext ihrer Betreuungssituation zum Ausdruck.

„Pflegebedürftig“ – hinter diesem Wort steckt eine große Vielfalt an Lebenswelten

Manche der von uns interviewten Menschen sind geistig noch topfit, aber leben in einem gebrechlichen Körper. Darunter auch Menschen, die den Anschluss an die Digitalisierung der Kommunikation geschafft haben, wie Herr S., der sich regelmäßig die aktuellsten Apps auf sein Smartphone lädt oder Frau M., die mit ihren im Ausland lebenden Enkelkindern per Skype telefoniert. Auch abseits der Digitalisierung wissen sich die Menschen oft noch durch kreative Techniken gegen ihre körperlichen Einschränkungen zur Wehr zu setzen, wie Frau L. die sich mithilfe einer Schnur und einem Korb Lebensmittel oder Post in den 1. Stock hinaufbefördert.

Andere wiederum sind dem kognitiven Abbau bereits stärker ausgeliefert, tun sich schwer mit dem Gedächtnis, leiden unter Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen.

Die eigene Hilfsbedürftigkeit akzeptieren – eine Herausforderung

Die Akzeptanz der eigenen Hilfsbedürftigkeit und die Annahme von Hilfe ist der erste wichtige Schritt, der eine Herausforderung darstellt. Dabei kann es auch zu einem Rollentausch kommen, wie es bei Frau W. der Fall war. Frau W. hat sich ihr Leben lang um ihre körperlich behinderte Tochter gekümmert und ist nun selbst aufgrund mentaler Schwierigkeiten auf deren Hilfe angewiesen. Bedauern die Einen auch nach Jahren der Hilfsbedürftigkeit ihr eingeschränktes Leben aufgrund körperlicher Schwäche, haben sich die Anderen bereits mit der neuen Lebenssituation abgefunden. Das „Sich Abfinden und Arrangieren“ wird während des Interviews thematisiert, meist als Erklärung, warum es den Menschen trotz erschwerter Lebensumstände gut geht. Die InterviewerInnen bewundern den Optimismus, den die Menschen an den Tag legen, und zeigen Respekt für deren unterschiedliche Bewältigungsstrategien.

Betreuung und Pflege Zuhause nicht umfassend genug?

Bisher haben die InterviewerInnen den Eindruck gewonnen, dass die Betreuung Zuhause für den Großteil der Menschen eine wichtige Unterstützung darstellt – zumindest auf den ersten Blick. Die Betreuungsdienstleistungen ermöglichen es ihnen den Alltag in ihren eigenen vier Wänden gut zu bewältigen. Und trotzdem wird deutlich, dass die Versorgung selten über ein gewisses Mindestmaß hinausgeht und einige Bedürfnisse der Menschen auf der Strecke bleiben.

Den Berichten unserer InterviewerInnen nach sind es insbesondere die sozialen Bedürfnisse, die bei pflegebedürftigen Menschen im Alter zu kurz kommen können und auch durch die Betreuungs- und Pflegedienstleistungen derzeit nur ansatzweise abgedeckt werden. So fühlen sich die interviewten Personen zwar sauber, satt und sicher, haben jedoch oft kaum mehr Kontakt zu anderen Menschen und finden nur noch wenig Inhalt in ihrem Leben. Der Besuch der Heimhilfe oder Hauskrankenpflege kann dann zur einzigen Abwechslung in ihrem Alltag werden, doch auch hier ist die Zeit knapp bemessen. Unseren InterviewerInnen gegenüber wurde beklagt, dass durch das Dokumentieren in der Pflegemappe auch noch die wenige Zeit wegfällt, die zum Plaudern übrig bleiben könnte.

Rolle der Betreuungs- und Pflegepersonen und die Bedeutung eines zu häufigen Wechsels

Betreuungs- und Pflegepersonen werden zu wichtigen Bezugspersonen für den pflegebedürftigen Menschen. Gerade für alleinstehende Menschen, die kaum noch Kontakte nach außen haben, scheinen die Betreuungs-/Pflegekräfte gewissermaßen auch auf einer psychosozialen Ebene den Alltag ihrer KlientInnen zu erhellen. Nicht selten kommen die pflegebedürftigen Menschen ins Schwärmen, wenn sie von ihrer „Fee“ oder ihrer „wunderbaren Maria“ sprechen.

Jedoch sorgen oftmaliger Wechsel der Betreuungs- und Pflegepersonen und Unklarheit darüber, wann nun die Unterstützung wirklich kommt, bei pflegebedürftigen Menschen auch für Unmut. Es erfordere Flexibilität im Alltag und Geduld, um den neuen Betreuungs- und Pflegepersonen immer wieder zu erklären, worauf sie achten sollen. Dabei halten gerade ältere Menschen gerne an einem klar strukturierten Alltag fest und tun sich mit diesem Unsicherheitsfaktor oft schwer.

Verlässliche Betreuungsarrangements, auch in der 24-Stunden-Betreuung erwünscht

Manche Menschen, die die Erfahrung einer 24h-Betreuung machen, scheinen einen sehr liebevollen und vertrauten Umgang mit ihrer Betreuungsperson gefunden zu haben. Bei anderen klingt jedoch auch Verzweiflung und Ärger durch, wenn sie von ihrer eigenen Situation berichten. Stabile Verhältnisse in der Betreuung werden zum Wunschdenken und der Weg zu einer passenden Betreuung ist mühsam. Auch mit einer 24-Stunden Betreuung geht Unsicherheit einher, dass die Betreuungsperson wegen eines besseren Jobs weggehen könnte. Damit verbunden ist die Angst, vielleicht doch bald in ein Altersheim wechseln zu müssen.

Finanzielle Engpässe und die Auswirkungen auf die Inanspruchnahme von Betreuung und Pflege

Geldsorgen, kleine Pensionen und fehlende Mittel für die Inanspruchnahme weiterer Dienstleistungen wurden immer wieder thematisiert. Wenn der Versuch scheiterte, höheres Pflegegeld zu beantragen, ging dies daher mit Frustration und Unverständnis einher.

Informationen kommen bei den Menschen nicht immer an…

Aus den Erfahrungen der InterviewerInnen geht hervor, dass der Bedarf an Informationen relativ hoch ist und die Menschen nicht gut über die genauen Dienstleistungs- und Finanzierungsangebote Bescheid wissen. So wie Herr P., der sich nach sozialen Kontakten sehnt und nicht über die Möglichkeit von Besuchsdiensten oder Tagesstätten aufgeklärt wurde. Oder Frau D., die zum ersten Mal einen Antrag auf Pflegegeld stellen möchte und nicht weiß, an wen sie sich wenden soll. Die Informationen finden sich größtenteils „im virtuellen Netz“, einem Ort, der derzeit nur einem sehr geringen Prozentsatz der pflegebedürftigen und älteren Menschen vertraut ist.

Soweit eine Auswahl der Eindrücke unserer InterviewerInnen aus den Gesprächen mit Menschen, die Betreuungs- und Pflegedienstleistungen beziehen. Erste Ergebnisse der Auswertungen der mit den persönlichen standardisierten Interviews erhobenen quantitativen Daten werden ab September 2018 verfügbar sein.

Treffen von EXCELC-Team und „Advisory Group“ in Wien 2017

Von Dr.in Laurie Batchelder, PSSRU Kent

(Übersetzung: Judith Litschauer, WU Forschungsinstitut für Altersökonomie)

Das EXCELC-Team traf sich zwischen 8. und 10. Februar an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Mitglieder der EXCELC Advisory Group (Beratungsgruppe aus Politik, Pflegebereich und Wissenschaft aus England, Finnland und Österreich) kamen am 10. Februar hinzu, um sich über die bisherigen Fortschritte zu informieren und ihre Ideen einzubringen.

Am Donnerstag besprach das EXCELC-Team die Fortschritte, die wir seit unserem letzten Treffen im September 2016 machten. Juliette Malley, Laurie Batchelder und Eirini Saloniki informierten über die Fortschritte der Präferenzstudie und präsentierten vorläufige Ergebnisse. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen England, Finnland und Österreich in der Gewichtung der einzelnen Bereiche der Lebensqualität nach ASCOT wurden diskutiert. Birgit Trukeschitz, Assma Hajji, Judith Kieninger und Judith Litschauer informierten über die Fortschritte in der Datenerhebung in Österreich und die Erlebnisse der InterviewerInnen. Sie präsentierten auch einige vorläufige, deskriptive Ergebnisse. Gleichermaßen fassten Ismo Linnosmaa, Lien Nguyen und Hanna Jokimaki das Voranschreiten der finnischen Datenerhebung zusammen und präsentierten erste deskriptive Resultate. Wir diskutierten die Herausforderungen der Datenerhebung mit persönlichen, standardisierten Interviews und Strategien, um die Rekrutierung von pflegenden Angehörigen zu verbessern. Im Anschluss an das Treffen hatte das Team die Gelegenheit, die wunderschönen Wahrzeichen Wiens zu bestaunen und die traditionelle Wiener Küche kennenzulernen.

Am Freitag fand das erste Treffen mit der EXCELC Advisory Group statt. Birgit Trukeschitz und Juliette Malley stellten zu Beginn das EXCELC-Projekt und dessen verschiedene Arbeitspakete vor. Daran anschließend reflektierten Ismo Linnosmaa und Birgit Trukeschitz den Übersetzungsprozess der ASCOT-Instrumente vom Englischen ins Finnische und Deutsche. Laurie Batchelder und Eirini Saloniki präsentierten vorläufige Ergebnisse aus der Präferenzstudie für die ASCOT-Instrumente für DL-BezieherInnen als auch deren pflegende Angehörige. Im Anschluss informierten Birgit Trukeschitz und Assma Hajji über die bisherigen Fortschritte im Zuge der Datenerhebung in Österreich und Hanna Jokimaki präsentierte die Fortschritte der Datenerhebung in Finnland. Wir diskutierten die ähnlichen Herausforderungen, mit denen sowohl Österreich als auch Finnland bisher während der Feldphase konfrontiert waren. Nach jeder Präsentation führten wir produktive Diskussionen, in denen zahlreiche Vorschläge gemacht wurden, wie die bisherige Arbeit präsentiert und darauf aufgebaut werden könnte. Das Treffen klang in entspannter Runde mit Tee, Kaffee, fesselnden Debatten und Faschingskrapfen aus.

Mit Geschick und Gespür – Über das Führen von Interviews mit pflegebedürftigen Menschen

Autorinnen: Judith Kieninger, Ruth Fulterer, Assma Hajji und Birgit Trukeschitz (Wirtschaftsuniversität Wien, Forschungsinstitut für Altersökonomie)

Erste Erfahrungen der InterviewerInnen in Österreich aus dem Forschungsprojekt „EXCELC – Lebensqualität durch Betreuung und Pflege“

 

Über die Interviews
25 Interviewerinnen und Interviewer wurden in Österreich bislang vom Team des Forschungsinstituts für Altersökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien eingeschult. Sie übernahmen im Zeitraum Mai 2016 bis Februar 2017 Interviews in den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg. Die Aufgabe der InterviewerInnen in dem Forschungsprojekt „EXCELC – Lebensqualität durch Betreuung und Pflege“ ist es, pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen zu besuchen und mit ihnen entlang eines Fragebogens über ihre Lebenssituation und die Betreuung und Pflege Zuhause zu sprechen. Die Datenerhebung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und wurde unterstützt von Pflege- und Betreuungsorganisationen sowie den Verwaltungseinheiten in den Bundesländern.

Wer sind unsere InterviewerInnen?

Unsere InterviewerInnen haben größtenteils einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund und verfügen über Kenntnisse aus dem Bereich der Soziologie, der Sozialen Arbeit, der Wirtschaftswissenschaften, Gesundheitswissenschaften, aber auch der Rechtswissenschaften. Manche sind noch in Ausbildung und sehen die Interviewtätigkeit als gute Gelegenheit, um Erfahrungen in der empirischen Sozialforschung zu sammeln. Einige wenige unter ihnen sind selbst im Pflegebereich tätig. Sie schätzen die Möglichkeit, durch die Interviewtätigkeit eine neue Perspektive einnehmen zu können. Zwei Drittel der InterviewerInnen sind Frauen und die Altersspanne reicht von 20 bis 55 Jahre, wobei sich die meisten im jungen Erwachsenenalter befinden.

Alle InterviewerInnen halten das Kernteam über den Verlauf des Interviews und ihre Erfahrungen schriftlich oder telefonisch am Laufenden. 14[1] von ihnen waren bereit, unsere kleine Umfrage zu den Eindrücken aus ihrer Interviewtätigkeit schriftlich zu beantworten. Aus diesen beiden Quellen stammt die folgende Zusammenstellung ihrer Erkenntnisse zu den Besonderheiten des Führens von Interviews mit pflegebedürftigen Menschen.

Die Startphase der Interviews – Eintauchen in neue Lebenswelten

Wenn die InterviewerInnen an den Türen der Befragten klingeln, wissen sie noch kaum etwas über die Menschen, die hier wohnen. Ein bis zwei Stunden haben sie Zeit, um das zu ändern –  um etwas über das Leben zu erfahren, das sich hinter diesen Türen abspielt: Im letzten Stock im Gemeindebau (ohne Lift!), in ausgebauten Schrebergartenhäuschen, in Wohnhäusern am Land.

Von den pflegebedürftigen Menschen freuen sich viele über den außergewöhnlichen Besuch. Es ist eben nicht alltäglich, dass jemand von einer Universität vorbeikommt und Fragen zu ihrem Alltag stellt. Sie berichten bereitwillig aus ihrem Leben, manche servieren Tee und Kekse. Andere sind körperlich nicht mehr dazu in der Lage, Gastgeber zu spielen, manchen ist das sichtlich unangenehm, wie z.B.  Herrn F., der „nur Wasser anbieten kann“ oder Frau L., die sich für ihre krakelige Unterschrift auf der Einverständniserklärung entschuldigt und dafür, dass sie nur sehr langsam sprechen kann. Dennoch stellen sie sich der Herausforderung und sind bereit, am Forschungsprojekt mitzuwirken.

Vereinzelt haben manche jedoch auch Vorbehalte gegenüber dem Forschungsprojekt und zeigen sich anfangs noch skeptisch oder misstrauisch dem fremden Besuch gegenüber. Vonseiten der InterviewerInnen ist viel Feingefühl nötig, um trotzdem ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Hin und wieder sitzt dann die Tochter oder der Sohn mit am Tisch, um mehr Sicherheit zu geben.

Vielfältige Menschentypen & Lebenswelten: Herausforderungen für die InterviewerInnen

Die Interviewsituationen sind erstaunlich vielfältig und stellen die InterviewerInnen immer wieder vor neue Herausforderungen. Sie sind gefordert, sich auf die jeweilige Situation einzulassen, die Bedürfnisse der InterviewpartnerInnen wahrzunehmen und möglichst passend darauf zu reagieren. „Ich finde es interessant, in eine Vielfalt an Situationen zu geraten und mich anpassen zu müssen – kann da nur davon lernen!“ ließ uns ein Interviewer wissen nachdem er bereits unterschiedliche Interview-Settings und  – Konstellationen erleben konnte.

Mit jedem Interview lernen sie auch einen bestimmten Gesprächstypen kennen und entwickeln passende Umgangsweisen, um die einzelne Person erfolgreich bis ans Ende des Fragebogens zu führen. Dabei spiegeln die Gesprächspersonen ihren InterviewerInnen relativ rasch wider, ob sie ihren Sprechstil zu ändern haben und klarer, deutlicher, lauter, langsamer oder schneller sprechen sollten um bei ihrem Gegenüber anzukommen. So auch die Erfahrungen eines Interviewers, der nach einer redseligen Gesprächspartner einen völlig anderen Interviewpartner vor sich hatte: „Mit Herrn A. musste ich viel lauter und deutlicher reden und die Fragen oft ein paar Mal vorlesen. Hauptsächlich musste ich aber Geduld haben, da er sehr lange mit dem Antworten brauchte.“ Seien es nun zurückhaltende, zögerliche, müde, wortgewandte, erzählfreudige oder aufgebrachte GesprächspartnerInnen, um an das Ende des Fragebogens zu gelangen sind unterschiedliche

Strategien von Seiten der InterviewerInnen gefragt.

Gestaltung der Interviewsituation: Balanceakt zwischen sozialer Situation und methodischen Anforderungen

Der erste Schritt vor der eigentlichen Befragung ist eine vertrauensvolle Annäherung zwischen InterviewerIn und GesprächspartnerIn.  Die ersten Minuten vor Ort, der kleine Small-Talk zwischen Tür und Angel, ist wesentlich um das nötige Vertrauen für eine ehrliche Gesprächsbasis zu schaffen. Damit valide Daten gesammelt werden können, sind nicht selten auch noch weitere Rahmenbedingungen zu klären: Ist es wirklich notwendig, dass der Ehepartner mit Argusaugen seine Partnerin während des Interviews beobachtet? Ist die Anwesenheit der Tochter ein wichtiges Kriterium für die Interviewbereitschaft der pflegebedürftigen Mutter oder eher ein Bedürfnis nach Kontrolle der Tochter?  Den InterviewerInnen ist bekannt, dass die Anwesenheit jeder weiteren Person zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen mag und doch kann auch das Gegenteil in Unsicherheit und Irritation umschlagen. Es bedarf eines guten Gespürs von Seiten der InterviewerInnen, um die bestmöglichen Voraussetzungen herzustellen ohne dabei die Kooperationsbereitschaft des Gegenübers zu verlieren.

Umgehen mit emotionalen Hochs und Tiefs

Die InterviewerInnen haben die Erfahrung gemacht, dass sie den befragten Menschen eine willkommene Abwechslung bereiten. Doch liegen positive und negative Emotionen nah beieinander: die Freude über den Besuch, dass sich jemand für die Erzählungen aus ihrem Leben interessiert und die ersehnte Hoffnung, dass ihre Anliegen gehört werden. Manchmal jedoch ist es schwierig, etwa wenn die InterviewpartnerInnen nur einsilbig antworten oder sichtlich traurig über das sind, wovon sie erzählen. Auch wenn es immer wieder Momente gibt, die die Mühe belohnen, brauchen InterviewerInnen emotionale Stabilität, um mit diesen Situationen gut umgehen zu können.

Interview-„Führung“: Balanceakt zwischen Eingehen auf eine Fülle von Lebenserfahrungen und methodisch entsprechender Durchführung standardisierter Interviews

Während der Befragung ist der Augenkontakt zwischen InterviewerIn und InterviewpartnerIn von großer Wichtigkeit, „damit das Gesagte als echte Botschaft ankommt“, wie eine Interviewerin feststellt. Die älteren Menschen lassen sich meist selbst nur ungern in ein Korsett an Fragen und Antworten zwängen und wissen sich oft ganz selbstverständlich aus den standardisierten Vorgaben zu befreien, indem sie ihre Antworten mit einigen Anekdoten und Erfahrungen aus ihrem Leben anreichern. An diesem Punkt geraten InterviewerInnen und ihre GesprächspartnerInnen möglicherweise in einen Interessenkonflikt: hat der eine das Ziel vor Augen, den Fragebogen ohne große Abschweifungen ans Ende zu bringen, so hat die andere die Möglichkeit erkannt, einen Gesprächspartner gefunden zu haben, mit dem verschiedene Erfahrungen besprochen werden können.

Die Befragung zur Betreuungs- und Pflegesituation von Menschen und ihrer Lebenszufriedenheit ist ein persönliches Thema. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die durch die Fragen angeregte Reflexion der eigenen Situation zu einem weiteren Gesprächsbedarf führen kann. Eine gute Führung von unseren Interviews mit älteren und pflegebedürftigen Menschen bedeutet daher auch das richtige Gleichgewicht zu finden zwischen verständnisvollem Zuhören und Eingehen auf die GesprächspartnerInnen und konsequentem Fortschreiten im Fragebogen.

Nach den Interviews – was bleibt?

Die InterviewerInnen verlassen den Ort des Interviews häufig mit dem positiven Gefühl, dass sie mit ihrem Besuch eine Abwechslung in das Leben der Menschen bringen und ihnen die Möglichkeit bieten konnten, gehört und wertgeschätzt zu werden. So die Eindrücke einer Interviewerin: „Ich denke, ich habe ihm mit diesem Interview eine große Freude gemacht! Oder: „Frau M. ist eine sehr liebenswerte, bescheidene Frau – ich denke, das Interview hat ihr sehr viel Selbstvertrauen gegeben.“

Auch die InterviewerInnen selbst nehmen für sich persönlich etwas mit. Die Lebensrealitäten der Menschen und deren Erfahrungsschatz machen die Befragungen für die InterviewerInnen zu einem wertvollen Besuch:  „Diese Begegnung war, wie alle anderen auch, eine Bereicherung für mich.“

„Ich empfinde großen Respekt vor den Lebensleistungen dieser nun alten Menschen, die hilfsbedürftig geworden sind.“

Die Durchführung der Interviews in allen Bundesländern ist voraussichtlich mit Herbst 2017 abgeschlossen. Wir freuen uns im Frühsommer 2018 mit den Ergebnissen aus der quantitativen Auswertung der erhobenen Daten rechnen zu dürfen.

[1] Ein herzliches Danke an: Veronika Böhmer Maria Estella Dürnecker, Stephanie Egg, Stefan Fuchshuber, Lukas Hirsch, Martin Köpplmayr, Judith Litschauer, Franziska Maurhart, Johanna Meditz, Bernhard Prinz, Gerlinde Schröttenhamer, Eva Stiftinger, Andreas Stöger und Philipp Weber.